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Reisebericht Sankt Petersburg Sommer 2006


1 Sankt Petersburg und der russische Schtschoty

Von meiner Sommerreise 2006 nach Sankt Petersburg eine kleine Sammler-Erinnerung (unten der Reisebericht):

Stchoty von Peter dem Großen Schreibtisch von Peter dem Großen im Sommerpalast des Sommergartens in Sankt Petersburg Stchoty von Anna Gigorevka Snitkina, der letzten Ehefrau von F.Dostojevsky Schreibtisch von Anna Gigorevka Snitkina im Dostojevsky-Museum Sankt Petersburg

ANNA GRIGORIEVNAS RAUM:  http://www.md.spb.ru/index.cgi?pg=expo&v=2&lg=eng

Sommerpalast Peters I.:  http://www.petersburg-info.de/html/sommerpalast.html,  http://www.aktuell.ru/petersburg/sehenswert/museum_palast/sommerpalast_16.html]

Летний дворец Петра I: Sommerpalast Peters I. (russisch):  http://www.museum.ru/M126

Feliks und Stschoty: Sommerurlaub – 2006, Wolfgang Irler

Nach einem kurzen Crash-Kurs in Russisch und tausenden Kilometern Fahrt über Schweden und Estland, haben wir zehn Tage Kulturferien in Sankt Petersburg geplant. Der Rechenmaschinensammler in mir hat auch den russischen Abakus, die Feliks- und Odhner-Maschinen im Sinn.

Lässig 6 Stunden Warten an der Grenze geben uns einen Vorgeschmack auf zu erwartende Abenteuer, dann 200 km Schlaglochslalom, mühseliges Entziffern der Straßennamen und mehrmaliges Verfahren als einziger Ausländer im russischen Verkehrs-Chaos. Der Vermittler der via Internet besorgten Adresse kann kaum Englisch, überlässt uns aber eine geräumige Wohnung. An Fassade und Hinterhof wäre eine Restaurierung wie in den Luxus-Geschäften der Nevsky-Promenade angebracht, die Alarmanlage ist zwar ausgeschaltet, dafür die Rollos immer unten. Wir richten uns ein, sehen regelmäßig nachrichtenfreies Fernsehen, können uns abends Spaghetti bereiten und fast immer ruhig durchschlafen.

Geschichte beginnt hier 1709 mit Peter dem Großen, dem Zimmermann-Zaren. Ein von ihm selbst gehobelter Sessel in der überbauten Original-Blockhütte und sein Boot zeugen von den relativ spartanischen Anfängen beim Bau von Sankt Petersburg.

In dem komfortableren Sommerschloss an der Newa lernt man auf Filzpantoffeln den Zaren als Wissenschaftler kennen. Neben einer astronomischen Uhr aus Dresden erblickt das gespannte Sammlerauge neben dem Doppelkopf-Adler-Leuchter auf dem Schreibtisch sofort einen Messing-Stschoty. Für ein paar Rubel darf man die nette Zusammenstellung sogar blitzen. Der Zar hat anscheinend selbst gerechnet, so wie vor kurzem noch manche Verkäuferin.

In den vielen Schlössern und Museen sonst keine Spur von Rechengerät, „nur“ Prunk und Kunst, jeglicher Barock touristengerecht restauriert. Dass die Einheimischen nur ein Drittel der Eintrittspreise hinlegen müssen, akzeptiert man als generöser Westbürger. An den Bettlern vor den Kirchen schaut man irgendwann vorbei, auch wenn man den Beinamputierten am Nevsky-Kloster mal einen Zehn-Rubel-Schein zugesteckt hatte.

Während bei einem Besuch des Dostojevsky-Hauses die Rolle von Anna Grigorevka als seine Sekretärin und spätere Ehefrau gelobt wird, finde ich tatsächlich einen zweiten Stschoty, kunstvoll gedrechselt, neben ihren Haushaltsaufzeichnungen, mit den Holzperlen wie inmitten einer Berechnung. Blitzen muss ich diesmal insgeheim.

Beim Einkaufen der Lebensmittel im durchgehend offenen Supermarkt nebenan fühle ich mich zuhause, hole Algäuer Jogurt und Eau Vittel aus vollen Regalen, mag aber nicht nach Eiern fragen, wenn ich ohne Wörterbuch bin. Trotz Russisch-Kurs reicht es ja meistens, auf die Bananen zu deuten und „polkilo“ zu sagen.

Auf den Straßen überholen mich andauernd die vielen schwarzen Luxus-Wagen mit ihren bulligen Fahrern, nicht aggressiv, eher schlafwandlerisch, auch in Kurven, ohne dass etwas passiert. Die Fahrten zu den entlegenen Sehenswürdigkeiten erfordern so Nerven und Umwege, auch weil die wenigen Hinweisschilder gut versteckt und natürlich in kyrillisch sind. Dafür entdeckt man dabei noch nicht restaurierte Schlösser oder deren Baustellen.

Den letzten, sogar sonnigen Samstag habe ich mir für einen Flohmarkt aufgehoben, statt nochmal Eremitage. Auf der Metro-Fahrt zum Udelnaja-Markt kann ich die Künste der Tricktaschendiebe analysieren, da sie nicht in meine Taschen langen, sondern in die eines unvorsichtigen Briten. Also halte ich immer die Hände locker und wachsam neben den Wertsachen.

Auf dem Markt, an dutzenden Angeboten selbst angebauter Stachelbeeren vorbei, kilometerlang Gebrauchtkleider-Stände zu Kopeken-Preisen. Ich schäme mich fast, die Bedauernswerten zu fotografieren. Auf Tischchen und Decken Trödelkram, getragene Schuhe und Werkzeug, auch die üblichen Wehrmachtsfälschungen neben Talmud-Yads, wie bei den Russen- oder Polenmärkten im Westen. Auf Englisch geht hier jedenfalls nichts.

Als ich die ersten Stschotys entdecke, traue ich mich endlich „skolka stoit“ zu fragen und verstehe den Preis natürlich nicht. Auf meinen Hundert-Rubel-Schein (3 Euro) wird man mir schon was rausgeben. Ich mag gar nicht glauben, dass die Dame wirklich „desjat“ (10) gesagt hat. Nach einigem Zögern läuft sie mir nach und gibt mir 50 Rubel zurück. Mir ist´s recht. Den teuersten der anderen 12 erstehe ich dann für „sorok“ (40) und bin so stolz, dieses komische Wort gleich verstanden zu haben, dass ich nicht runterhandle. Am Ende brauche ich eine Billigtasche für alle Exemplare.

Bei der Heimfahrt an der Grenze bin ich wirklich erleichtert, nichts echt Altes dabei zu haben. Der Zöllner fragt freundlich, aber eindringlich nach Ikonen und kontrolliert dann jeden einzelnen der Stschotys aus Holz, Blech und Plastik, ob vielleicht einer von vor 1950 stamme. So was würde er nicht rauslassen, schon gar nicht eine dieser Petersburger Odhner-Maschinen, von denen ich träumte.

Nur gut, dass man die neueren russischen Feliks-Sprossenradmaschinen noch immer günstig in Ebay findet. Die Stschotys werde ich zehnfach verteuert meinen Sammlerkollegen anbieten und damit trotzdem zu dem Preisverfall dieser russischen Rechengeräte beitragen.


2 Copyright

Alle Rechte beim Verfasser

Erstellt von: Wolfgang Irler 11:29, 28. Jun 2010 (CEST)



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