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Mechanische Rechenmaschinen für wissenschaftliche Berechnungen


Mechanische Rechenmaschinen für wissenschaftliche Berechnungen

Von Erhard Anthes, Ludwigsburg

 
Wilhelm Schickard (1592 - 1635) baute eine Maschine, um seinem Freund Johannes Kepler das Berechnen der Rudolfinischen Tafeln zu erleichtern. Blaise Pascal (1623 - 1662) wollte mit seiner Erfindung den Vater bei der Ermittlung von Steuern unterstützen. Gottfried Wilhelm Leibniz (1646 - 1716) hatte eher ein prinzipielles Ziel: Er wollte zeigen, dass die vier Grundrechenarten von einer (geistlosen) Maschine ausgeführt werden können. Philipp Matthäus Hahn (1739 - 1790) ließ sich von den ermüdenden Berechnungen der Zahnradgetriebe für seine astronomischen Uhren zur Konstruktion einer Rechenmaschine verleiten ( Anthes 1985 ). Johann Helfrich Müller (1746 - 1830) benutzte seine Rechenmaschine von 1784 zur Aufstellung seiner Tafeln zur Ermittlung von Rauminhalten von Stammholz und von zugeschnittenem Holz ( Müller 1788, Abb.1); er äußerte auch die Idee, für die Herstellung von Tafeln eine Differenzenmaschine mit Druckwerk zu bauen (Bülow [1989]).

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Abb. 1: Titelblatt (Foto: Erhard Anthes)

Es gab also bei einigen Erfindern des 17. und 18. Jh. durchaus konkrete Rechenanlässe für ihre Bemühungen.

Abb. 2 (entfernt): Thales Electromat, 1928 (Arithmeum Bonn)

Wie sieht es im wissenschaftlichen Bereich aus, nachdem die mechanische Rechenmaschine als kommerziell ausnutzbares Produkt erkannt war und in rasch zunehmenden Stückzahlen hergestellt werden konnte? Drei Fragen stehen im Hintergrund des Vortragstitels: 1. Wurden mechanische Rechenmaschinen auch für wissenschaftliche Zwecke verwendet? 2. Gab es seinerzeit mechanische Rechenmaschinen, die für wissenschaftliche Zwecke besonders geeig-net waren? 3. Haben die Wissenschaftler selbst Einfluß auf die Entwicklung mechanischer Rechenmaschinen genommen? Zu den Fragen eins und drei können nur sehr eingeschränkte und vorläufige Antworten gegeben werden; am einfachsten scheint die Frage nach der „Hardware” zu sein, die hier auch den Schwerpunkt bildet.

Inhaltsverzeichnis

1 Zur Verwendung der Rechenmaschinen in der Wissenschaft

„Die eigentlichen Rechenmaschinen insbesondere haben eine grosse Bedeutung erlangt und sind zu einem unentbehrlichen Werkzeug von nicht geringer und ständig zunehmender Verbreitung geworden; auf weiten Gebie-ten haben sie die Anwendung der rechnenden Mathematik in der jetzigen Ausdehnung erst ermöglicht und manche wissenschaftliche Unternehmung wäre ohne ihre Hülfe wahrscheinlich nicht in Angriff genommen worden; ja, sie fangen an, auf die Gestaltung gewisser Formeln und Berechnungsweisen einen bestimmenden Einfluss zu üben, so wie es früher die Logarithmen gethan haben.” ( Mehmke 1902, S.952/953)
Es ist zu vermuten, dass die mechanische Rechenmaschine im wissenschaftlich-technischen Bereich häufiger eingesetzt wurde, als es aus den verbreiteten Schriften auf die Schnelle herausgelesen werden kann. Die Hilfsmittel, die zur Berechnung verwendet wurden, sind in vielen Veröffentlichungen eher nebenbei, häufig gar nicht genannt worden. Publikationen über den Einsatz von mechanischen Rechenmaschinen sind daher außerhalb des Vermessungswesens recht selten und dann in weniger bekannten oder verbreiteten Zeitschriften oder nur in „Grauer Literatur” zu finden. Für Großbritannien liefert eine diesbezügliche Untersuchung (Croarken [1990]), dass erst zwischen den beiden Weltkriegen ein Einsatz von Rechenmaschinen zur Verbesserung und Beschleunigung wissenschaftlichen Rechnens erfolgte. Diese Entwicklung ist im wesentlichen mit nur einer Person verbunden, dem Astronomen Leslie John Comrie (1893 - 1950), der 1936 als Vorstand des Nautical Almanac Office zurücktrat und in London den Scientific Computing Service als ein Dienstleistungsunternehmen für Wissenschaftler, Regierungsstellen und Unternehmen gründete und dieses mit den damals verfügbaren Rechenhilfsmitteln (Tabellenwerke, Rechenmaschinen, Lochkartenmaschinen) ausstattete. Comrie verfolgte die erklärte Absicht, die üblichen Bürorechenmaschinen auch für den wissenschaftlichen Gebrauch zu nutzen und dafür Algorithmen zu entwickeln (so, wie vor ihm bereits Carl Runge, s.u.). Großbritannien hatte aber keine Rechenmaschinenindustrie wie Deutschland oder die USA, wo die Zentren der Rechenmaschinenentwicklung und -Produktion zu finden waren. Also wären andere Ergebnisse für Deutschland oder die USA durchaus denkbar.

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Abb. 3: Funktionsrechenmaschine Ramsayer, 1950 (Foto: Erhard Anthes)

Die Hersteller von Rechenmaschinen versuchten vor allem kaufmännische Büros, Versiche-rungsfirmen, statistische Ämter, Geldinstitute, Lohnbüros, technische Büros, Vermessungs-ämter usw. für ihre Produkte zu interessieren. Die Wissenschaften, speziell die mathematischen Institute, hatten in der Regel keinen besonderen Bedarf an den Bürorechenmaschinen; dort interessierten eher die Apparate von Scheutz, Hollerith oder Powers, die allerdings sehr teuer waren und die finanzielle Ausstattung der Interessenten bei weitem überstiegen. Daher begannen einzelne Wissenschaftler um 1900 die mechanische Rechenmaschine für ihre Berechnungen einzusetzen. Bekannt sind die Arbeiten des Würzburger Mathematikers Eduard Selling (1834 - 1920), der mit einer Thomas-Maschine Rententabellen berechnete; die dabei gewonnenen Erfahrungen setzte er bei der Konstruktion von Rechenmaschinen um Petzold 1992, S.69 f). Der Mathematiker Carl Runge (1856 - 1927), der bedeutende Beiträge zur Entwicklung der Numerischen Mathematik lieferte, benutzte die Thomas-Maschine bei Berechnungen, mit denen er die Güte seiner Näherungsformeln (z.B. für spektralanalytische Rechnungen) prüfte; für ihn war die Rechenmaschine ein wichtiges Hilfsmittel 1) zur Theorieentwicklung, 2) zur Entwicklung von Formeln (Richenhagen [1985], insbes. III.2.4-2.5; IV.4). Runge hat aber allem Anschein nach keine konkreten Vorschläge zur Entwicklung spezieller Einrichtungen an mechanischen Rechenmaschinen gegeben; er passte die Algorithmen den vorhandenen Rechenmitteln an:

„...einerseits findet sich bei Runge gerade kein Näherungskonzept, das zur Entwicklung neuer Hilfsmittel Anlaß geben würde, und andererseits führte Runge auch kein Hilfsmittel in die Numerik ein, das qualitativ neue Möglichkeiten des numerischen Rechnens eröffnet. Runge betrachtet vielmehr die Hilfsmittel als eine Konstante, der sich die numerischen Methoden anzupassen haben.” ( Richenhagen 1985, S.273)

Der britische Astronom Herbert Hall Turner benutzte um 1905 eine Rechenmaschine von Brunsviga für seine Berechnungen, nachdem ein Vergleich Maschine - Tafelwerk eine deutliche Steigerung der Effektivität beim Rechnen mit der Maschine ergeben hatte; der Astronom Percival Lowell berechnete um 1910 mit Hilfe der schweizerischen Multipliziermaschine Millionaire die Bahn des Planeten Pluto; der Statistiker Karl Pearson verwendete um 1910 eine Brunsviga und der Astronom L.J. Comrie propagierte in den 1920er Jahren die Benutzung der Bürorechenmaschine für wissenschaftliche Berechnungen (Eames / Eames [1973], p. 54f, 70f, 86f). Die 1942 gegebene Empfehlung Comries, die zunächst für militärische Zwecke gebaute Twin-Marchant nach dem Krieg in der Wissenschaft einzusetzen (Comrie [1945], p.3), wurde allerdings durch die rasante Entwicklung des Computers bald obsolet. Zwar findet man in Büchern zur Numerischen Mathematik noch Anfang der 1960er Jahre Beispiele zum Rechnen mit der mechanischen Tischrechenmaschine (z.B. Noble [1965], Zurmühl [1963]), aber das Gerät wird eher als „sehr nützliches Instrument zur Vermittlung von Einsicht in numerische Methoden” (Noble [1965], S.6), also mehr als didaktisches Hilfsmittel, angesehen.

Abb 4 (entfernt): Brunsviga Arithmotyp, 1908 (Arithmeum Bonn)

2 Rechenmaschinen mit speziellen Einrichtungen

Um 1900 war die Rechenmaschinenproduktion soweit entwickelt und gefestigt, dass die Konstrukteure den Ausbau, die Motorisierung und die Automatisierung ihrer Maschinen planen konnten. Wünsche der Abnehmer wurden aufgegriffen und in „Hardware” umgesetzt. Neben der Verbesserung der Handhabung (z.B. der Schlittenverschiebung oder der Zahleneingabe) wurden zunächst Mechanismen gegen Fehlbedienung eingebaut. Dann wurden ab etwa 1910 Speicherwerke, zweite Resultat- und zweite Umdrehungszählwerke realisiert; einzelne Fabrikanten versuchten, die Vierspeziesmaschine mit Druckwerk auszustatten. Zwar zielten die meisten Hersteller von mechanischen Rechenmaschinen mit ihrer Werbung vorwiegend auf den kaufmännischen / finanz- und versicherungswirtschaftlichen Sektor; sie gingen aber auch auf die besonderen Anforderungen anderer Bereiche ein: Statistische und ingenieurwissenschaftliche Anwendungen erforderten die Summation von Produkten oder auch das Wurzelziehen. Während für die Berechnung der Quadratwurzel auf der Thomas-Maschine bereits 1865 der Kinematiker Reuleaux den Toepler-Algorithmus (Wagenknecht/Anthes [1993]) propagierte, konnte die Summe von Produkten bei gleichzeitiger Anzeige der Einzelprodukte nur durch den Einbau eines zusätzlichen Resultatwerks oder eines addierenden Speicherwerks ermöglicht werden. Die Multiplikation mit mehr als zwei Faktoren wurde durch eine Rückübertragung vom Resultatwerk in das Einstellwerk mechanisiert. Die maschinelle Summation von Quotienten war nur möglich, wenn ein addierendes Umdrehungszählwerk vorhanden war; dieses mußte daher mit Zehnerübertragung ausgestattet sein, was noch 1910 bei den erhältlichen Fabrikaten die extreme Ausnahme war. Die Zehnerübertragung im Umdrehungszählwerk ermöglichte darüberhinaus auch die „verkürzte Multiplikation” und die Steuerung der Maschine zur Realisierung der automatischen Multiplikation und der automatischen Division.

2.1 Einzelkonstruktionen zur Berechnung von Tafeln

Müller war wohl der erste gewesen, der eine mechanische Rechenmaschine für die Erstellung eines Tafelwerkes herangezogen hatte (s.o. und Abb.1). Anfang des 20. Jh. wurden dann weitere Versuche unternommen, teilweise mit speziellen Konstruktionen, die zeitaufwendigen und ermüdenden Berechnungen für eine Tafel zu erleichtern und zu beschleunigen:
- Hamann Logarithmus für die Tafel von Bauschinger/Peters [1910], Beschreibung in Galle 1912, S.45-48;
- Thompson´s vierfache Triumphator für die Logarithmetica Britannica [1924], siehe Eames/Eames 1973, p.87;
- druckende Addier- und Subtrahiermaschine Burroughs zur Positionsberechnung von Himmelskörpern für den Nautical Almanac, siehe Hudson 1914;
- druckende Addiermaschine Goerz A für die Tafeln zur harmonischen Analyse von Pollak 1926;
- Buchungsmaschine National/Ellis 3000 im Nautical Almanac Office (Comrie, ca. 1930) und im Institut für Praktische Mathematik in Darmstadt (Prof. A. Walther, ca. 1935),
- Ramsayers Funktionsrechenmaschine (Abb.3) mit eingebauten Festwerten der Winkelfunktionen für Berechnungen im Vermessungswesen ( Ramsayer 1952, Eggert/Klietsch 1954 ).

Der Electromat von Thales ( Thales 1928, Abb.2) war der einzige Versuch, eine motorisierte Doppelmaschine (s.u.) für das Vermessungswesen zu bauen; das Versuchsexemplar ist im Arithmeum Bonn ausgestellt.

Abb 5 (entfernt): Staffelwalzenmaschine Unitas, 1910 (Arithmeum Bonn)

2.2 Maschinen mit Zusatzausstattungen

Es geht hier um Maschinen mit z.B. zweitem Resultatwerk, zweitem Umdrehungszählwerk oder zusätzlichem Speicherwerk. Diese Zusätze hatten das Ziel, komplexere Berechnungen ohne Neueingabe von Zwischenergebnissen durchführen zu können. Schon die Multiplikation von drei Faktoren ist mit der einfachen Vierspeziesmaschine nur möglich, wenn das Produkt zweier Faktoren von Hand in das Einstellwerk eingegeben und anschließend mit dem dritten Faktor multipliziert wird. Mit der mechanischen „Rückübertragung”, bei der das Produkt z.B. durch einen Hebelzug vom Resultatwerk in das Einstellwerk transportiert wird, lassen sich Ablese- und Einstellfehler vermeiden; der Rechengang muss nicht durch Notieren des Zwischenergebnisses unterbrochen werden. Dieser Zusatz wurde zum ersten Mal bei der Brunsviga Arithmotyp (ab 1908, Abb.4) und bei der Brunsviga N (ab 1910) eingebaut, DRP 231695. Bei anderen Maschinentypen, insbesondere bei Staffelwalzenmaschinen, gelang erst nach dem Zweiten Weltkrieg der Einbau eines solchen Zusatzes.
Ab 1908 erschien die erste Maschine mit zweitem Resultatwerk, die Staffelwalzenmaschine Unitas (Abb.5) von Ludwig Spitz, Berlin.

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Abb. 6: Brunsviga MH, 1920 (Foto: Erhard Anthes)

Die beiden Resultatwerke konnten gemeinsam oder einzeln benutzt werden; darüberhinaus konnte man sie trennen und gegeneinander versetzen, so dass die Dateneinträge an unterschiedlichen Positionen möglich waren. Andere Fabrikate folgten ab 1910, z.B. Reinhold Pöthig mit der Archimedes (Glashütte), Mathias Bäuerle (St. Georgen) mit der Peerless. Eine Besonderheit war die Austria Zwilling von S. J. Herzstark (Wien): Unter der Einstellplatte befanden sich zwei vollständige Staffelwalzensysteme, die jeweils mit dem zugehörigen Resultatwerk zusammenwirkten; der Aufwand machte die Maschine teuer, unhandlich und fehleranfällig. Die Brunsviga Dupla von 1928 ist eine Sprossenradmaschine mit zweitem Resultatwerk, deren Einsatz bei wissenschaftlichem Rechnen dokumentiert ist ( Comrie 1946, p.151); die Braunschweiger Firma hatte seit 1907 an der Entwicklung solcher Maschinen gearbeitet, aber nur Kleinstserien (von 3 bis 100 Stück) erzeugt.
Auch die einzige kommerzielle Maschine mit Multiplikationskörper, die schweizerische Millionär, wurde ab ca. 1910 mit einem zweiten Resultatwerk geliefert.

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Abb. 7: Comptometer JS, 1935 (Foto: Erhard Anthes)

Es wurden auch Maschinen mit zweitem Umdrehungszählwerk produziert. Den Anfang machte Brunsviga 1908 mit dem Modell H. In nennenswertem Umfang (ca. 6000 Exemplare) wurde dann ab 1920 das Modell MH (Abb.6) produziert. Es hatte ein Umdrehungszählwerk ohne und eines mit Zehnerübertragung; es konnte daher für abgekürztes Rechnen und für die Quotientensummation verwendet werden.

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Abb. 8: Hamann Selecta SPU, 1934 (Foto: Erhard Anthes)

Statt eines zweiten Resultatwerks konnte für manche Zwecke auch ein Speicherwerk verwendet werden, dessen Vielseitigkeit durch eine Zehnerübertragung (dann ist es ein „Summierwerk”) gesteigert werden konnte. Die erste Konstruktion dieser Art brachte um 1900 Ernst Schuster mit seiner Duplicator (das ist eine Berolina mit Speicherwerk) heraus, dann folgte 1912 die französische Firma Eclair mit einer motorbetriebenen Sprossenradmaschine. Die Firma Mercedes (Zella-Mehlis) versorgte seit etwa 1910 den Markt mit ihren Proportionalhebelmaschinen Euklid; ab 1913 lieferte sie das [[Mercedes Euklid 5|Modell 5]] mit einem 17stelligen Summierwerk. Auch die Schaltschwingenmaschine Comptometer erhielt ab ca. 1935 ein zusätzliches Summierwerk, Modell JS (Abb.7).

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Abb. 9: Brunsviga MD II, 1911 (Foto: Erhard Anthes)

Mit Maschinen, die sowohl ein zweites Resultatwerk als auch ein zweites Umdrehungszählwerk, aber nur ein Einstellwerk hatten, wurde ebenfalls experimentiert; dies ist vor allem von Grimme, Natalis & Co. ( Brunsviga ) durch einzelne Versuchsmodelle im Braunschweigischen Landesmuseum dokumentiert. Als ein wirtschaftlich erfolgreiches Modell gilt die Hamann Selecta, die schnellste Rechenmaschine der 30er Jahre. Sie war mit den verschiedenen Zusätzen erhältlich und verfügte in der komfortabelsten Ausstattung über zwei Eingabetastaturen, ein Resultatwerk, zwei Umdrehungszählwerke und ein Speicherwerk, Modell SPU (Abb.8).

2.3 Doppelmaschinen

Um 1910 wurden bei Grimme, Natalis & Co. die ersten Versuchsmaschinen mit vielstelligem und daher teilbarem Einstellwerk gebaut; sie können als Vorläufer der Doppelmaschinen gelten.

Abb 10 (entfernt): Triumphator Duplex, 1909 (Foto: Landesmuseum Braunschweig; I.Simon)

Doppelrechenmaschinen haben zwei Einstellwerke und zwei Resultatwerke, die jeweils unabhängig voneinander mit Daten versorgt werden können, die aber durch einen gemeinsamen Antrieb bedient werden. Die Brunsviga MD II (1911, Abb.9) ist ein solcher Vorläufer: 12+8 Stellen im Einstellwerk, 20 Stellen im Resultatwerk, das teilbar ist (die Zehnerübertragung ist unterbrechbar zwischen 10. und 11. Stelle; die Löschung der einzelnen Teile ist möglich). Das Nachfolgemodell MB II (ab 1917) hat darüberhinaus noch ein zweites Umdrehungszählwerk mit Zehnerübertragung. Für diese Maschinen wurden spezielle Berechnungsmethoden für den wissenschaftlichen Bereich entwickelt (Das Rechnen mit der Trinks-Brunsviga Rechenmaschine, Bd.2).

Abb 11 (entfernt): Brunsviga DMJR, 1926 (Foto Landesmuseum Braunschweig, I. Simon)

Die erste echte Doppelmaschine im obigen Sinne war die Triumphator Duplex (Abb.10), gebaut ab 1909 von der Leipziger Firma gleichen Namens. Erst ab 1926 lieferte auch Brunsviga eine entsprechende Maschine aus, das Modell DMJR (Abb.11, in nur 26 Exemplaren gebaut). Erst mit dem Modell D 13 Z-1 (ab 1930) konnte Brunsviga die potentiellen Abnehmer von den Vorteilen der teuren Maschine überzeugen: Es wurden über 2000 Exemplare zwischen 1930 und 1947 gebaut und vor dem Krieg auch in die westlichen Industrieländer exportiert. 1930 war auch das Jahr, in dem das einzige Konkurrenzmodell erschien, die Thales GEO. Das ist ebenfalls eine Sprossenrad-Doppelmaschine, die aber den Vorteil für sich in Anspruch nehmen konnte, mit einem „durchlaufenden Schlitten” zu arbeiten. Hierbei konnten die beiden im Schlitten befindlichen Resultatwerke unter jedes der beiden Einstellwerke geschoben werden, sodass spezielle Berechnungen (z.B. Koordinatentransformationen in der Geodäsie) besonders zeitsparend und fehlervermeidend ausgeführt werden können.

Abb 12 (entfernt): Duo-Britannic, ca. 1940 (Foto: Breker-AuctionTeam, Köln)

Da während des Zweiten Weltkrieges die Alliierten von der Versorgung mit deutschen Produkten abgeschnitten waren, mußten die inzwischen bewährten Doppelmaschinen - vor allem für militärische Berechnungen - auf einem anderen Weg beschafft werden. Nach einem zunächst unbefriedigenden Versuch, aus der Sprossenradmaschine Britannic (gebaut in England seit dem 1. Weltkrieg) Doppelmaschinen (Abb.12) zu bauen, gelang es unter Beteiligung des Experten Comrie die amerikanischen Stellsegmentmaschinen Marchant Modell XL zu Doppelmaschinen zu vereinigen. Die beiden Einzelmaschinen wurden dabei hintereinandergesetzt und eine mechanische Kopplung eingebaut; sie wurden nur für die militärische Nutzung gefertigt. Außer den bisher genannten Fabrikaten sind Doppelmaschinen nur noch von der schwedischen Firma Odhner ( Modelle 35 und 135 ) erzeugt worden. Bemerkenswert ist die Dreifachmaschine Brunsviga Modell 183, die auf Vorschlag des Geodäten Prof. Dr. Heinz Wittke, der auch Patentinhaber war, ab 1954 in Braunschweig gebaut wurde (Abb.13).

Abb 13 (entfernt): Brunsviga 183 (Arithmeum)

2.4 Der Wurzelautomat

Zwar kann man mit jeder Sprossenradmaschine (mit Hebeleinstellung) und jeder Staffelwalzenmaschine die Quadratwurzel ziehen, aber das umständliche „Toepler-Verfahren” benötigt eine erhebliche Konzentration des Bedienenden. Es war daher durchaus eine kleine Sensation, als 1952 die amerikanische Firma Friden den „Wurzelautomaten” Modell SRW (Abb.14; Auslegeschrift 1165911 des Deutschen Patentamts, 1964) anbieten konnte: Nach Eingabe des Radikanden wurde eine Taste gedrückt, die zugleich die Kommastellung berücksichtigte, und der Automat berechnete ohne weiteren Eingriff die Quadratwurzel, die anschließend im Umdrehungszählwerk und auf Wunsch auch im Einstellwerk vorhanden war. Es kam dabei eine Variante des Toepler-Verfahren zur Anwendung ( Reese/Lange/Anthes 1993 ). Diese Maschine wurde in den 1950er Jahren auch an vielen Mathematischen Instituten in Deutschland beschafft.

Kaum bekannt ist die „Radizier-Quadriervorrichtung für Vierspeziesrechenmaschinen” von Willi Faber (Auslegeschrift 1061546 des Deutschen Patentamts, 1959), die als Zusatz für Sprossenradmaschinen, auch für die Doppelmaschinen, von Brunsviga angeblich erhältlich war.

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Abb.14: Friden SRW, 1952 (Foto: Erhard Anthes)

3 Zum Einfluss von Wissenschaftlern auf die Maschinenentwicklung

Während die ersten Versuche zum maschinellen Rechnen von Wissenschaftlern (z.B. Schickard, Pascal, Leibniz) unternommen wurden, sind die ab ca. 1880 produzierten kommerziellen Maschinen durch Ingenieure/Konstrukteure der Feinmechanik entwickelt worden, die gleichzeitig auch die Fabrikationsbedingungen entscheidend bestimmten. Eduard Selling war in dieser Phase offensichtlich eine Ausnahme, wenngleich ein Einfluss von wissenschaftlich tätigen Personen immer wieder dokumentiert ist. Hier ein paar Beispiele: Die Entwicklung der Kleinrechenmaschine Gauss (1905, Fa. Mercedes) ist durch den Geodäten Prof. Dr. Vogler (Landwirtschaftliche Hochschule Berlin) angeregt und von Christel Hamann realisiert worden ( Schulz 1906, S.51). Hamann hatte mit seinem feintechnischen mechanisch-mathematischen Institut ohnehin intensive Verbindung zu vielen Hochschuleinrichtungen, für die er Gerätschaften entwickelte und herstellte. Die Anerkennung, die er sich erwarb, führte schließlich 1933 zur Verleihung der Ehrendoktorwürde der Technische Hochschule Berlin. Ein weiterer Konstrukteur erhielt bereits früher die Ehrendoktorwürde für seine herausragenden Leistungen bei der Entwicklung von Rechenmaschinen: Franz Trinks (Technischer Leiter und Gesellschafter bei Grimme, Natalis & Co, Brunsviga ) wurde 1922 von der Technischen Hochschule Braunschweig der Titel Dr.-Ing. e.h. verliehen. Durch diese Ehrungen wurden die besonderen Beiträge der beiden Ingenieure, die sie für das wissenschaftliche Rechnen er-bracht hatten, gewürdigt.
Die meisten Anregungen für Weiterentwicklungen bei den mechanischen Rechenmaschinen wurden wohl von Personen aus dem Vermessungswesen geäußert. Die Anregung zur Thales GEO etwa wurde von dem Vermessungstechniker Ernst Rühle, Stuttgart, gegeben; Rühle trat vor allem in den 1930er Jahren mit Publikationen zum Einsatz mechanischer Rechenmaschinen im Vermessungswesen an die Öffentlichkeit. Die Dreifach-Brunsviga Modell 183 (Abb.13) beruht auf dem Patent des Vermessungsrates Dr. Heinz Wittke, später Professor für Geodäsie an der TH Braunschweig. Für die in Kap. 2.2. angegebenen anderen Zusätze sind bisher keine Urheber aus dem wissenschaftlichen Bereich bekannt geworden.
Während der Begründer des Scientific Computing Service London, L.J. Comrie, nur auf die vorhandenen Maschinen zurückgriff und für diese Rechenalgorithmen entwickelte, wurden im Darmstädter Institut für Praktische Mathematik, Prof. Alwin Walther, auch Verbesserungen der Maschinen selbst vorgenommen. Der Stuttgarter Navigationsspezialist Prof. Dr. Ramsayer entwickelte in den 1940er Jahren mehrere sogenannte Funktionsrechenmaschinen (s.o. und Abb.3, Abb.15), bei denen ganze Tafelwerke in mechanischer Form gespeichert waren. Für die Produktion konnte er allerdings keinen Hersteller mehr gewinnen, da sie in Konkurrenz zu den Tabelliermaschinen standen und vor allem die elektronischen Computer mit ihren flexiblen Möglichkeiten inzwischen bekannt wurden.

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Abb 15: Funktionsrechenmaschine Ramsayer mechanische Speicherung (Foto: Erhard Anthes)

Deutliche Anhaltspunkte für eine wissenschaftliche Beschäftigung mit der mechanischen Rechenmaschine geben auch die (wenigen, dem Autor bekannten) Dissertationen, die mit dieser Thematik (im weiteren Sinne) angefertigt wurden: [[Geier 1936|Geier [1936] ]], [[Hampel 1956|Hampel [1956] ]], [[Michael 1962|Michael [1962] ]], [[Priebe 1953|Priebe [1953] ]], [[Varren 1929|Varren [1929] ]], [[Veithen 1912|Veithen [1912] ]], [[Wandelt 1956|Wandelt [1956] ]]

Für die Erlaubnis zum Abdruck von Abbildungen danke ich:
- dem Arithmeum Bonn, Abb.2, 4, 5, 13;
- dem Braunschweigischen Landesmuseum, Abb. 10, 11;
- dem Breker Auction Team, Köln, Abb.12;
Alle anderen Abbildungen vom Verfasser.

4 Literatur

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3. W. de Beauclair, Verfahren und Geräte zur mehrdimensionalen Fouriersynthese. Berlin 1949

4. R. Bülow, Ein Entwurf für eine Differenzmaschine aus dem Jahr 1784. In: Sudhoffs Archiv 73 (1989), S.219-222

5. L.J. Comrie, The Twin Marchant Calculating Machine and its Application to Survey Problems. London 1942

6. L.J. Comrie, Recent Progress in Scientific Computing. In: Journal of Scientific Instruments 21 (1944), p.129-135

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11. A. Galle, Mathematische Instrumente. Leipzig 1912

12. K. Geier, Die Zehnerschaltvorrichtung und die damit zusammenhängenden Sonderfragen. Dissertation TH Dresden 1936

13. G. Hampel, Anwendungs- und Entwicklungsmöglichkeiten der Funktionsrechenmaschine für geodätische Rechnungen. Dissertation TH Stuttgart 1956

14. A. Hennemann, Die technische Entwicklung der Rechenmaschine. Aachen 1953

15. T.C. Hudson, H.M. Nautical Almanac Office Anti-Differencing Machine. In: Horsburgh (Ed.) Handbook of the Napier Tercentenary Celebration or Modern Instruments and Methods of Calculation. Edinburgh 1914 ( Reprint Los Angeles 1982 ), p.127-131

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19. K.-D. Michael, Untersuchungen zur Gestaltung einer programmgesteuerten elektrisch-mechanischen Tischrechenmaschine für die niedere Geodäsie. Dissertation TH Stuttgart 1962

20. J.H. Müller, Neue Tafeln welche den cubischen Gehalt und Werth des runden, beschlagenen und geschnittenen Bau- und Werkholzes enthalten, verfertigt mittels der Müllerischen Rechenmaschine....Frankfurt am Main 1788

21. B. Noble, Numerisches Rechnen. Mannheim 1966

22. H. Petzold, Moderne Rechenkünstler. München 1992

23. L.W. Pollak, Rechentafeln zur Harmonischen Analyse, Leipzig 1926

24. O. Priebe, Die Anwendungs- und Entwicklungsmöglichkeiten und -grenzen mechanischer Vierspezies-rechenmaschinen. Dissertation TU Berlin, 1953

25. K. Ramsayer, Die geodätische Funktionsrechenmaschine. In: Zeitschrift für Vermessungswesen 77 (1952), S.97-104

26. Das Rechnen mit der patentierten Trinks-Brunsviga Rechenmaschine, Bände 1,2. Braunschweig 1921

27. M. Reese / W. Lange / E. Anthes, Der Friden Wurzelautomat. In: E. Anthes (Hrg.), Beiträge zur Geschichte der mechanischen Rechenmaschine. PH Ludwigsburg 1993, S.3-18

28. G. Richenhagen, Carl Runge (1856 - 1927): Von der reinen Mathematik zur Numerik. Göttingen 1985

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30. J.W.G. Schulz, Die Hamannsche Rechenmaschine „Gauß“. In: Zeitschrift für Instrumentenkunde 26 (1906), S.50-58

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33. A. Varren, Systematik der Zehnerschaltvorrichtungen. Dissertation TH Berlin 1929. Essen 1934

34. C. Veithen, Über die Verwendung der Rechenmaschine bei der Bahnbestimmung von Planeten (Millionär). Dissertation, Leipzig 1912

35. C. Wagenknecht / E. Anthes, Wußten Sie schon, daß man mit mechanischen Rechenmaschinen Quadratwurzeln berechnen kann? In: Praxis der Mathematik 35 (1993), S.133-136

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37. A. Walther / H.-J. Dreyer, Mathematische Maschinen und Instrumente - Instrumentelle Verfahren. In:A. Walther (Hrg.), Naturforschung und Medizin in Deutschland 1939 - 1946, Band 3: Angewandte Mathematik, Teil 1, Weinheim 1953, S.129-165

38. R. Wandelt, Studien zum rationellen Rechnen. Dissertation TH Hannover 1956

39. P. Werkmeister, Doppelrechenmaschine Thales. In: Zeitschrift für Instrumentenkunde 51 (1931), S.613-614

40. F.A. Willers, Mathematische Maschinen und Instrumente. Berlin 1951

41. H. Wittke, Die Rechenmaschine und ihre Rechentechnik. Berlin 1943

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43. R. Zurmühl, Praktische Mathematik für Ingenieure und Physiker. 4. A., Berlin 1963


Anschrift des Verfassers:

Erhard Anthes, PH Ludwigsburg,
Institut für Mathematik und Informatik
D-71706 Markgröningen, Ulmenweg 2
Email: anthes@ph-ludwigsburg.de


5 Copyright

Alle Rechte beim Verfasser
Mit freundlicher Genehmigung (Text und Bilder) des Verfassers.
Für die Wiedergabe im Rechnerlexikon wurden nur die Fotos von Erhard Anthes verwendet.
Eingestellt von: F. Diestelkamp 09:52, 24. Feb 2005 (CET)

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